Arbeiten Sie noch, oder golfen Sie schon?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Handicap proportional exakt den wöchentlichen Arbeitsstunden entspricht. Teilzeit hin, Teilzeit her. Nur 4 Wochenarbeitstage hin, nur 4 Wochenarbeitstage her – letztlich geht es doch darum, Freizeit-Guru mit exzellentem Handicap zu werden. Doch bis dahin, gilt es für viele noch einige Stufen zu überwinden …
Handicap 54 – 36 (Arbeitsstunden pro Woche) – die Vollzeit-Knechte
Dieser Typus wird grob in zwei Kategorien unterteilt: diejenigen, die Golf spielen, um sagen zu können, dass sie Golf spielen, zumal sie gehört haben, dass dieser Sport etwas Elitäres ausstrahlen soll. Und die, die nicht anders können …
In der ersten Kategorie sind meist viele „Business-Kasper“ versammelt, die eigentlich keine Zeit haben. Business geht vor. Sie definieren so ziemlich alles im Leben über Statussymbole: dicke SUV-Phallusprothese, Überstunden als sexy Management-Tool, Edel-Bag, Edel-Schläger, Edel-Trolley usw … Klar, diese vorwiegend männlichen Golfer sind beruflich erfolgreich, aber sie besitzen eben noch eine besondere Form dieser Willi-Wichtig-Behinderung, die sie davon abhält, dem Leben mehr Zeit zu widmen. Sie hängen dadurch jahrelang in der Hackerphase fest, und graben dann top gestylt bei 2–3 Sponsorenturnieren alljährlich die gepflegtesten Wiesen um.
In der zweiten Kategorie versammeln sich die bedauernswerten Golfer, die aufgrund Ihres Angestellten-Daseins einfach keine Zeit haben. Sie können sich mal gelegentlich eine halbe Stunde Range abzwacken, aber ansonsten ist häufig nur an jedem fünften Wochenende im Schaltjahr Zeit. Echte Zeit, finden Sie eigentlich nur zu den völlig verstopften Zeiten von Freitagnachmittag bis Sonntagmittag.
Handicap 36 – 18 (Arbeitsstunden pro Woche) – die Unentschlossenen
Diese Gruppe hat zwar verstanden, dass es um mehr als Arbeit geht im Leben, sie schwankt aber immer noch zwischen Lemming und Privatier. Diese Gruppe ist die Haupteinnahmequelle der Pros. Schwingt seit Jahren einen blitzsauberen Slice, aber behauptet nach jeder Trainerstunde, dass es jetzt bergauf ginge. Beim nächsten Monatsbecher dann wieder dasselbe Dilemma … Diese Handicapklasse ist in der Phase der Lebens-Pubertät. Sie befreit sich so langsam aus den Fängen des Alltags, jongliert aber noch zwischen meckernder Familie und stringenten Arbeitszeitmustern. Selbst hackt sie gerne auf der Generation Z herum, muss sich dann aber bei jedem Turnier deren Bruttoreden anhören. Es ist die mit Abstand größte Gruppe der Golfer, die verzweifelt versucht, dieses traumhafte Spiel besser zu beherrschen, aber der das Leben einfach keine Zeit für diesen Sport zur Verfügung stellt.
Hier finden sich auch die meisten Ausredenmeister: nach Abgabe der meist miesen Scorekarten kommen die berühmten „Schönrede-Floskeln“:
„Ach, seit einem halben Jahr keinen Schläger in der Hand gehabt.“
„Der Jüngste bekommt Zähne.“
„Ach übrigens, falls Dagmar fragt, wir waren heute nicht hier.“
„Auf der Range flogen die sensationell gut.“
„Ich komme mit dem Pro einfach nicht weiter.“
Meist ist dann auch bei HC 18 das Ende der Fahnenstange erreicht.
Handicap 18 – 4 (Arbeitsstunden pro Woche) – die lebenslustigen Junkies
Hier wird das Leben nach der Wetterkarte ausgerichtet. Scheint die Sonne, wird Golf gespielt. Regnet es, wird gearbeitet. Diese Gruppe speist sich hauptsächlich aus Selbstständigen, Privatiers und Arbeitslosen. Was alle gemein haben, ist das volle Stundenkonto eines Freizeitmillionärs. Hier wird ordentlich am Schwung gefeilt, in der Woche vormittags auf den angenehm leeren Plätzen gespielt, und anschließend noch ein Mittagsschläfchen gehalten. Um die anfallenden Projekte kann man sich entspannt nach Anbruch der Dunkelheit oder am Wochenende (wenn die Handicap-Typen 1 und 2 die Plätze verstopfen) kümmern. Der Winter wird zur echten Qual, weshalb diese Gruppe dann zur Überbrückung Langzeit-Angebote mit Apartment am Golfplatz und „All you can play“ in südlichen Gefilden bucht.
In dieser Gruppe tummeln sich meistens die lebenssüchtigen Junkies, die in der Jugend so ziemlich alles ausprobiert haben. Für Pros ist diese Gruppe ein Albtraum, zumal sie entweder alles besser wissen, und nur 1-2 x im Jahr vorbeischauen, oder mittlerweile in Dauerschleife Instavideos von weltweit agierenden Pros inhaliert. Der Algorithmus von Instagram zeigt nach Öffnen der App ausschließlich zwischen Türrahmen schwingende Golflehrer, die einem zeigen, dass man mit dem Hintern im Durchschwung am Stuhl bleiben soll. Alternativ heben japanische Pros auf einer Range den mahnenden Zeigefinger, dass man im Schwung niemals mit der rechten Schulter reinkippen soll. So zieht dann Stunde um Stunde ins Land … Zu erkennen ist diese Gruppe übrigens an der ganzjährig, blassen linken Hand.
Handicap -4 – +6 (Arbeitsstunden pro Woche) Zu dieser Gruppe gibt es eigentlich nicht allzu viel zusagen, zumal ich noch niemanden kennengelernt habe, der Woche für Woche Arbeitsstunden geschenkt erhält. Es sind zumeist auch Golfer, die noch sehr jung sind, und arbeitstechnisch noch nichts geleistet haben. Junge Golfer, deren Eltern alles richtig gemacht haben, ihnen schon als Hosenscheißer einen Schläger in die Hand zu drücken. Wer das Handicap allerdings im Alter noch spielt, hat entweder alles richtig gemacht oder ein beneidenswert fettes Talent. Da kann man nur alle vorhandenen Hüte ziehen.
von A.M.